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STOP!

Ausstellung von Giovanna Valli

Im Bürgerhaus, 82194 Gröbenzell, Rathausstr. 1
Nur noch bis 24. November 2013
Di, Do, Frei, Sa, 15.30-18.00h, Sonntag: 10.30 -12.30h

Monica Poalas

München, 18 November 2013
Gerade in unserer Zeit, in der die Weltordnung sich in einer komplizierten Umbruchsphase befindet, und viele Werte, die die Grundlage unseres humanitären Miteinander bilden, wie Rohre im Wind schwanken, ist die Kraft künstlerischen Ausdrucks bedeutsam und wichtig. Sind es doch gerade die Künstler, die zu allen Zeiten und in allen Situationen gewissermaßen die Seismographen unserer gesellschaftlichen Befindlichkeit und unseres gesellschaftlichen Standortes sind und deren wichtigste Aufgabe es ist und immer sein wird, Schwingungen, Strömungen, Realitäten, aufzugreifen, die den einzelnen Menschen wie auch uns als Gesellschaft betreffen, bewegen, verstören oder erregen.

Genau dies ist auch der Impetus der Künstlerin Giovanna Valli, einer multikulturellen Künstlerin, geboren in Spanien, aufgewachsen in Lateinamerika mit italienischen Wurzeln und schon lange in Deutschland ansässig. Höhepunkt ihrer zahlreichen Ausstellungstätigkeit war 2011 die Teilnahme an der Biennale in Venedig.

STOP!Das heißt: Bis hierher und nicht weiter!Das ist der programmatische Titel dieser Ausstellung, den sie uns als Appell entgegen schleudert. Haltet ein, wacht auf, kehrt um! Denkt nach, was Ihr macht, wie Ihr unseren Planeten zerstört. Giovanna Valli klagt vieles an, was in unserer heutigen Welt aus den Fugen geraten ist. Was sie im Einzelnen meint, hat sie in ihrer Installation mit dem gleichen Titel „STOP!“ zusammengefasst.

Sie sieht die Menschen „Im freien Fall“, wie im Objekt gleichen Namens. Sie sind entwurzelt, sie haben den Boden unter den Füßen verloren, sie ersticken im Abfall, den die ärmsten von ihnen gleichzeitig als miserable Überlebensmöglichkeit wiederum sammeln, sie befinden sich im Labyrinth, wie in der Installation „Wasser-Labyrinth“, in dem es für die transparenten Menschen keinen Ausweg gibt.

Auf das Thema Wasser legt sie einen besonderen Schwerpunkt. Denn „Wasser ist Leben“, wie sie eine ihrer Arbeiten auch nennt. 70 Prozent der Erdoberfläche ist mit Wasser bedeckt, der Mensch besteht zu 80 Prozent aus Wasser. Ohne Wasser kein Leben.

Der Krieg der Zukunft geht ums Wasser, titelt die Welt vom 7.6.2012 und führt aus: Die Zahl der Menschen steigt rapide an. - Vergleichen Sie dazu Giovannas Installation „Global Explosion“, in der das verdeutlicht wird - Gleichzeitig breiten sich wegen des Klimawandels Wüsten weiter aus. Gletscher schmelzen. Darum erwarten Experten Kriege um ein bald knappes Gut: Süßwasser. Wasser wird ein seltener, wertvoller Rohstoff wie Gold, Öl und Diamanten – und um die werden Kriege geführt.

Der „Kampf ums Imperium“, wie Giovanna Valli es nennt - der um das Wasser - hat bereits unauffällig im Hintergrund begonnen. Die Weltkonzerne haben Grundstücke mit Wasserquellen weltweit auf gekauft. Arme Menschen müssen Wasser kaufen, statt es kostenlos bekommen. Nestlé beispielsweise füllt mit Mineralien angereichertes Grundwasser als exklusives „Pure Life“ Wasser ab und vertreibt es in der Spitzengastronomie für viel Geld, während das Grundwasser in der ausgebeuteten Region immer mehr fällt und die armen Menschen nur noch verunreinigtes Trinkwasser finden. Der Dokumentarfilm „Bottled Life", der großes Aufmerksamkeit erregte, zeigte, wie der Konzern agiert, wenn man ihn lässt. 

Bereits seit 2004 beschäftigt sich die Künstlerin mit einem weiteren brandaktuellen Thema, mit dem gläsernen Menschen. Wie nun die Enthüllungen von Wiki Leaks und Edward Snowden zeigen, werden unsere schlimmsten Befürchtungen von der Realität übertroffen. Bereits 2011 hat Giovanna Valli mit ihrer aufregenden Skulptur „Secrets“ dieses Thema aufgegriffen. Es geht dabei um die Fragilität von Geheimnissen oder um die Verletzung der Privatsphäre. Sie besteht aus 40 dreidimensionalen Zeichnungen auf Fragmenten aus Polyethylen, die in transparenten Plexiglas Schüben neben und aufeinandergelegt sind und die Fragilität von Geheimnissen verdeutlichen. Zu sehen sind darauf die Physiognomien von Personen, die die Idee des bewachten, archivierten und kontrollierten Individuums repräsentieren. Eben jenes gläsernen Menschen, der heute fast jeder von uns schon ist, mit den archivierten Geheimnissen, den gesammelten Daten in den Verwaltungen, Krankenhäusern, Gefängnissen, und, wie wir jetzt wissen, im Telefon und Internet. „Big brother is watching you“ hat jede ironische Komponente verloren, es ist harte Realität. Das dazugehörige Video verdeutlicht diese Gedanken und ist mit einer Musik unterlegt, die Unsicherheit und Gefahr assoziiert.

Die Skulptur mit dem Titel „1513“ zeigt genau 1513 miniaturhafte Figuren, die auf ein nur fünf Zentimeter hohes Ultraphanband gezeichnet sind, das 120 Zentimeter lang ist, aufgerollt und wiederum in durchsichtigen Behältnissen zu sehen. Es handelt sich um Menschen in Alltagsituationen auf der Straße, beim Sport, beim Fußball, musizierend, vor dem Arbeitsamt, aber auch das Vorhandensein von Krieg und religiöse Konflikten. Durch die Aufrollung überlagern sich die Menschen, verlieren ihre Individualität und gehen optisch in einer vielfältigen Masse auf. Ungeheuer symbolträchtig, wie Valli hier mit dem Material spielt: die plastische Transparenz, die sich quasi selbst dematerialisiert, ins Nichts auflöst… Auf dem dazugehörigen animierten satirischen Video sind einige Szenen unterlegt mit Musik von ihrem Sohn Giorgio Volkert und der Künstlerin selbst.

In der zweiteiligen Wandinstallation „Global Explosion“ und „It is not a tree“ überlagern sich 300 übereinander gelegte dreidimensionale auf Polyethylen gezeichnete Gesichter. Teils mit Spiegelfolie unterlegt, reflektieren sie sich, es ergeben sich Verzerrungen und eine ganz eigene Ästhetik glänzender Transparenz. Formal zusammengehalten werden sie durch jeweils eine auf den Untergrund projizierte Silhouette eines Baumes, auf den sie montiert sind. Diese soll neben dem ökologischen Gedanken auch den Gedanken an die unsichere Zukunft unserer Welt wachhalten. Im Vorbeigehen entsteht durch die aleatorischen Effekte die Illusion von Bewegung.

Giovanna Valli bedient sich in ihren Arbeiten thematisch folgerichtig eines transparenten Materials, des Polyethylens. Oft verwendet sie recyclebare Flaschen aus diesem Material, die zu Zigtausenden in der Welt, mit Wasser oder anderen Getränken gefüllt, verkauft werden. Ebenso arbeitet sie mit PVC, Ultraphan und Spiegelfolie. Die Ambivalenz dieses Materials faszinierte sie: Einerseits ist es mit seiner Transparenz, seiner Leichtigkeit und seiner ästhetischen Qualität für sie das ideale Material für ihr ideelles Anliegen und die Basis neuer Ausdrucksformen , die ihr die Möglichkeit eröffnet, mit der dritten Dimension zu arbeiten. Andererseits überzieht dieses Material durch seine Unausrottbarkeit unseren Planeten als Müll mit unvorstellbaren Ausmaßen. Ihr Umgang damit ist durchaus auch ein kritischer Appell: Unsere Ozeane versinken im Plastikmüll. Etwa 70 Prozent der Oberfläche der Erde sind von Wasser bedeckt. Doch heute schwimmen in jedem Quadratkilometer der Meere zehntausende Teile von Plastikmüll. Seevögel verenden qualvoll an Handyteilen in ihrem Magen, Schildkröten halten Plastiktüten für Quallen und Fische verwechseln Mikropartikel aus Plastik mit Plankton, die damit in die menschliche Nahrungskette gelangen. Im Nordpazifik treibt seit Jahrzehnten ein Müllstrudel, der mittlerweile so groß ist wie Zentraleuropa. Zunächst zerfällt es lediglich in immer kleinere Partikel. Wenn wir heute barfuß einen Strand entlang laufen,haben wirneben den Sandkörnern meist auch viele feine Plastikteilchen unter den Füßen. Bis zur völligen Zersetzung von Plastik können 350 bis 400 Jahre vergehen.

Giovanna Valli hat eine bemerkenswerte, ziemlich singuläre Position innerhalb der zeitgenössischen Kunstszene erobert: Ihre Kunst ist luzide, gedankenschwer, auch ironisch, zugleich eminent politisch. Und dies ist auch ihr Anliegen. Mit ihrer Kunst gibt sie Zeugnis von den vielen Irritationen unserer Welt und will damit den Betrachter zum Aufmerken anregen, wachrütteln. Sie bedient sich dazu eines ambivalenten Materials, dessen Ambivalenz sie thematisiert und das in ihren Händen eine unvermutete ästhetische Qualität entwickelt. Allerdings gibt sie zu bedenken: Der Kunststoff ist unschuldig, es sind die Menschen die ihn missbrauchen. Und damit hat sie vollkommen recht.

  Monica Poalas © 

 

 

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