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100 Jahre Futurismus Europaweit und in Bayern

Die diesjährige Veranstaltungsreihe zum Jubiläum des Futurismus wurde sehr aufwändig vorbereitet und findet in München und in Stegen am Ammersee statt

Anna Zanco Prestel

Bereits im Laufe des ersten Weltkrieges mussten zwei ihrer prominenten Vertreter, Boccioni und Sant’Elia, dem Kriegsrausch zum Opfer fallen. Nachvollziehbar ist im Gegenteil Marinettis Drang, Italien vom „Krebsgeschwür der Professoren, Archäologen, Fremdenführer und Antiquare befreien“ zu wollen, um - mit dem beinah fanatischem Pathos seiner bombastischen Sprache – den „Passatismus“ (passato = Vergangenheit) zu überwinden. Kein Wunder, dass der marxistische Theoretiker Antonio Gramsci das revolutionäre Potential der Futuristen sofort erkannte und ohne Bedenken behauptete, diese hätten „die klare Vorstellung gehabt, dass unsere Zeit, die Zeit der Großindustrie, der großen Arbeiterstadt… neue Kunstformen, eine neue Philosophie, neue Sitten und eine neue Sprache benötige.“ Der Faschismus bemächtigte sich später vieler Ideen der Futuristen und passte sie den eigenen Machtbedürfnissen an. Seine Excellenz Marinetti avancierte zwar bis ins Groteske zur Galionsfigur des Regimes, ging aber – nach anfänglicher Begeisterung – bald auf Distanz und zog sich schon 1924 ins Unpolitische zurück. Gemeinsam war sowohl dem Futurismus als dem Faschismus der Wille zu Modernität und Fortschritt. Dem Erfinder der heute hochaktuellen „drahtlosen Einbildungskraft“ konnte die Mussolini-Diktatur gewiss kein günstiges Umfeld bieten. Eher lassen sich manche anarcho-provokatorische Aufrufe

beispielsweise mit der Forderung nach „mehr Phantasie an die Macht“ der 68er vergleichen.

In ihrem vehementen Aufruf, „Feuer an die Regale der Bibliotheken“ zu legen und die „Museen“ zu „überschwemmen“, um „die alten, ruhmreichen Bilder zerfetzt und entfärbt auf dem Wasser treiben zu sehen“, wandten sich die italienischen Futuristen gegen jeglichen Kult der Vergangenheit und plädierten für die Schaffung einer „neuen Sensibilität als Folge der großen Entdeckungen…“. Vieles, was das am 20. Februar 1909 auf dem Titelblatt der Pariser Tageszeitung erschienene „Manifest des Futurismus“ mit frech-herausfordernder Kühnheit verkündete, beschwört - für unser heutiges Verständnis - ein regelrechtes Horrorszenario. Wenn dessen Verfasser, der radikale italienische Dichter Filippo Tommaso Marinetti, den Krieg als „einzige Hygiene der Welt“ verherrlichte, dachte er aber eher in den Kategorien einer Heraklits („Polemos - Der Krieg ist der Vater aller Dinge“) und ahnte kaum wirklich, welches unendliche Leid und wie viel Zerstörung die zwei schrecklichen Weltkriege - auch dank des von ihm hoch gepriesenen technischen Fortschrittes - über das damals beginnende Jahrhundert bringen würden.

Die unbestreitbare Modernität des Futurismus lässt sich heute in seinem Verlangen nach einer Aufhebung der Trennung zwischen Kunst und Leben nachlesen, in seinem sehr innovativen Bestreben, die traditionellen Gattungen wie Literatur, Musik, bildende Kunst mit anderen Ausdrucksformen des Schönen wie die Architektur, die Fotografie, das Design bis hin zur Mode und zur kreativen Küche zu verbinden.

Dem Futurismus und seinem breit gefächerten, in viele Richtungen ausstrahlenden sowie nachhaltigen Einfluss als „früheste Avantgarde des zwanzigsten Jahrhunderts“ auf die späteren künstlerischen Bewegungen in Europa und bis nach Russland, sind 2009 mehrere Ausstellungsprojekte in verschiedenen europäischen Städten gewidmet. Auch Bayern gedenkt seiner Geburtsstunde mit einer Veranstaltungsreihe, die sich im Laufe des Monats Mai zwischen München und Stegen am Ammersee abspielt (siehe Veranstaltungskalender). Die Veranstaltung ist der Initiative des Italienischen Kulturinstituts in München unter der Leitung der neuen Direktorin Giovanna Gruber in Zusammenarbeit mit dem Kulturverein Pro Arte e.V. zu verdanken.


Im Münchner Gasteig wird - neben einer Auswahl von Filmen aus der Zeit des Futurismus (1913-1932) - der musikalische Abend „Nieder mit der Mondscheinromantik“ veranstaltet. Es werden literarische Texte und Kompositionen wie „Werke in Bewegung“ der Hauptvertreter des Futurismus Marinetti, Casella, Russolo, Petrolini, Carrà, Balilla, Petrella, Balla, Depero und Scelsi präsentiert. Es treten zudem „echte Interpreten“ des „Varietés“ wie Ettore Petrolini (als „Gastone“ und „Fortunello“) und André Deed (als „Cretinetti“) auf.


Am Ufer vom Ammersee hat die Ausstellung „Carte Futuriste“ in der Kunsthalle Ammersee einen würdigen Ausstellungsort und in Paul Schneider, dem engagierten Besitzer der Alten Brauerei Stegen einen enthusiastischen sowie kompetenten Befürworter gefunden. Zu sehen sind dort vom 10. bis zum 30. Mai Arbeiten auf Papier berühmter Meister der italienischen Moderne wie Umberto Boccioni, Giacomo Balla, Carlo Carrà, Gino Severini und Luigi Russolo und anderer Maler aus futuristischen Kreisen (Fortunato Depero, Mario Sironi, Enrico Prampolini, Achille Funi, Roberto Marcello Baldessari). Die aus 15 Bildern bestehende Werkschau soll den Futurismus mit seiner Verherrlichung der „Schönheit der Geschwindigkeit“ beleuchten. Im Vordergrund steht dessen Neubewertung als bahnbrecherische Bewegung, die als erste die „Komplexität des modernen Lebens“ erfasste und nicht zuletzt das Kunsterlebnis als „persönliche Freude“ verstand. Begleitet und dokumentiert wird die von Maurizio Scudiero und Davide Sandrini organisierte Ausstellung von einem 40seitigen Katalog mit einschlägigen Texten und Farbbildern.


Am 17. Mai, um 11 Uhr, wird im Kino der Alten Brauerei Stegen der Film „La Metropoli Futurista – Progetti Im-Possibili“ vorgeführt. Das Video ist nichts anderes als die „virtuelle Umsetzung einer nie erbauten Stadt als Lebensmuster“. Durch die Veranschaulichung einer „un-möglichen“ futuristischen Architektur, die sich an den veränderten Bedürfnissen des modernen Menschen – unter anderem nach mehr Funktionalität – orientierte, soll das Lebensgefühl einer ganzen Epoche beschwört werden, die sich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit vollem Elan in die Zukunft projiziert. Der sich rasant entwickelnde technische Fortschritt nährt die Hoffnung auf einen Neubeginn, der die Gedanken und die Taten der Futuristen auf ihren unterschiedlichen Betätigungsfeldern beflügelt. Produziert wurde der Film für die „Galleria degli Uffizi“ Florenz vom Art Media Editori-Verlag und in Zusammenarbeit mit dem legendären Literaturcafé „Giubbe Rosse“ in Florenz, der historischen Stätte, an der sich die Futuristen trafen um ihre heftigen Auseinandersetzungen mit Literaten und Künstlern der Zeit auszutragen. In einer zweiten Vorführung am 18. Mai präsentiert der ehemalige Pächter des Literaturcafés, Fiorenzo Smalzi, den Film im Italienischen Kulturinstitut München.



(2009-2 pg 12)




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